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Gepostet on Apr 14, 2016 in Allgemeine Themen | 2 Kommentare

Tugend ist erstrebenswert

Tugend ist erstrebenswert

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Mit der Tugend ist das so eine Sache…. Heute möchte ich einmal etwas allgemeiner werden und für alle Blinde und Sehbehinderte sprechen, auch wenn die Einschätzungen allein auf meine eigenen Erfahrungen beruhen. Heutzutage ist es gang und gebe alles in Kategorien, Listen und Platzierungen zu packen. Ich habe mir gedacht, warum nicht auch mal einen Chart für Tugenden, Eigenschaften oder Persönlichkeitsmerkmalen von uns Blinden und Sehbehinderten zu erstellen.

Ich denke diese Tugenden sind nicht nur für Blinde oder Sehbehinderte wichtig, auch Sehende profitieren von diesen Eigenschaften, doch für uns Blinde sind sie sicher besonders erstrebenswert. Jedenfalls bin ich der Meinung es kann nicht schaden wenn man sich um sie bemüht! 😉

Top Tugend Nr. 7: Die Schmerztoleranz

Was hat den Schmerztoleranz mit Blindheit zu tun und warum soll das gerade für Blinde eine Tugend sein? Nun ja, ich will damit sagen, dass wir Blinde halt hart im Nehmen sein müssen. Je nachdem wie mobil, wie aktiv oder risikobereit wir sind! Wobei, soviel braucht es manchmal gar nicht, oft reicht schon eine Kleinigkeit und man stößt sich, fällt oder fügt sich sonst wie Schmerzen zu. Also ich kann da echt ein Lied von singen: Bin schon oft gegen halb geöffnete Türen und offenstehende Fenster gelaufen, oder habe mir beim Bücken den Kopf gestoßen.

Einmal zum Beispiel bin ich vor lauter Übermut und der trügerischen Sicherheit meine Räumlichkeiten in- und auswendig zu kennen, volles Karacho mit der Stirn gegen einen Türrahmen gelaufen, nur weil ich mich ein wenig im Winkel verschätzt hatte. Oder letztens, als ich in unserem Gäste-WC ausprobierte was härter sei, das Handwaschbecken oder meine Stirn. Bin versehentlich ein wenig zu nah vor dem Becken gestanden als ich mich auf die Toilette setzen wollte, dabei hätte ich mir beinahe den Kopf gespalten. 😉 Ganz zu schweigen von dem Moment, als ich mir die Finger an der heißen Herdplatte verbrannte, weil ich versehentlich die falsche angeschaltet hatte. Das sind nur ein paar wenige Beispiele. Du siehst also, als Blinder muss man ganz schön schmerztolerant sein! 😉

Top Tugend Nr. 6: Die Mitteilsamkeit

Nun, diese Tugend beinhaltet in Grunde mehrere Eigenschaften in sich. Zum einem ist es für Blinde ein Vorteil, wenn sie auf andere zugehen können, also zum Beispiel um Hilfe fragen oder um eine Gefälligkeit zu bitten, um im Kontakt mit seinem Umfeld zu bleiben und man sich nicht selbst ausgrenzt.

Mir jedenfalls hat meine Mitteilsamkeit schon so manches Mal aus der Patsche geholfen. Ich würde vielleicht heute noch am Bahnsteig in Stuttgart stehen und vergeblich auf meine mit der Bahn vereinbarten Umsteighilfe warten, wenn ich nicht kurzerhand eine vorübergehende Person angesprochen hätte. Das Glück war mir hold, und die angesprochene Dame begleitete mich tatsächlich zu meinem Anschlusszug, den ich sonst verpasst hätte! 🙂

Oder ich hätte einmal unnötig Hungern müssen, nur weil ich mich nicht getraut hatte einen Kollegen um Hilfe zu bitten. Der war glücklicherweise sowieso auf dem Rückweg ins Geschäft, also für ihn kein Problem mir noch etwas vom Metzger mitzubringen. Man sagt zwar Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, doch für uns Blinde trifft dieses Sprichwort nicht unbedingt zu! 😉

Top Tugend Nr. 5: Die Wachsamkeit

Gefahren oder unangenehme Situationen lauern für uns Blinde jederzeit und überall, wer da nicht wachsam, aufmerksam oder voll konzentriert ist kann schnell in eine missliche Lage geraten. Deshalb heißt es für uns Blinde immer alle Sinne auf Achtung zu stellen. Schließlich kann jeder Schritt, Griff oder falsche Bewegung in eine peinliche oder unangenehme Situation führen. Wir sind zwar mit einigen Hilfsmitteln ausgestattet, welche uns vor Gefahren schützen sollen, doch ohne unsere Wachsamkeit helfen diese Hilfsmittel auch nur bedingt! 😉

Einmal beim Weg in die Arbeit habe ich bemerkt das ich auf der Fahrbahn laufe. Die Kante an der ich mich entlangtastete war nicht die Grünflächenbegrenzung sondern die Bordsteinkante. Glücklicherweise ist mir dies noch rechtzeitig aufgefallen, die Autos fuhren ziemlich nah an mir vorbei, ich konnte mich gerade noch mit einem Satz auf den Gehweg in Sicherheit bringen. Oder als ich damals in meiner Arbeitspause schon nach dem ersten Löffel von meinem Quark bemerkte das dieser längst verdorben war. Glücklicherweise war ein Kollege in der Nähe, der mir meinen Verdacht bestätigte, denn sonst hätte ich ihn vielleicht trotzdem weiter gegessen, und mir übel den Magen versaut! 😉

Ähnlich erging es mir eines Morgens als ich mir die Milch für die Cornflakes in den Topf gießen wollte und einen seltsamen Beigeschmack bemerkte. Wie sich herausstellte hab ich statt der Milchtüte den Tetrapack vom Orangensaft erwischt. Nur gut, dass ich an diesem Morgen durstig war und deshalb vorher einen Schluck aus der Tüte nahm, sonst wär mir das erst viel zu spät aufgefallen. Wobei, vielleicht hätte ich ja auch eine ganz neue Variation entdeckt? Oft sind es die kleinen Dinge des Lebens, die uns Blinde fordern. Wachsamkeit ist also immer geraten! 🙂

Top Tugend Nr. 4: Die Gelassenheit

Gelassenheit ist natürlich nicht nur für Blinde und Sehbehinderte wichtig sondern für Jedermann eine hilfreiche Tugend. Wer sich selbst immer ganz wichtig nimmt, keine Distanz zu seinen Ungeschicklichkeiten herstellen kann und in solchen Situationen die Prise Humor nicht aufbringt, hat es schwer im Leben.

Ich versuche mich jedenfalls nicht mehr über alles Mögliche aufzuregen. Letztens habe ich etwas im Internet bestellt, doch anstatt innerhalb der nächsten fünf Tage, wie versprochen, kam das Paket erst nach 10 Tagen an. Klar hätte ich mich über eine pünktliche Lieferung gefreut, viel wichtiger war, es kommt überhaupt an. Sich darüber zu ärgern hätte mir auch nichts gebracht und den Stress des Reklamierens war es mir nicht Wert.

Wo es mir schon schwer fällt gelassen zu bleiben: Wenn mein Computer oder andere elektronische Geräte Dinge tun, die ich ihnen nicht angeschafft habe oder sie ihren Dienst aus unerklärlichen Gründen ganz verweigern. So vor ein paar Tagen: Obwohl ich meinen Beitrag zwischen gespeichert hatte ging mir die Hälfte des Textes flöten und ich durfte alles nochmal schreiben. Da stoße ich schon mal an meine Grenzen, Was soll´s! Wenn immer alles reibungslos verlaufen würde wär’s ja langweilig, oder? 🙂

Top Tugend Nr. 3: Die Geduld

Die Tugend geduldig zu sein steht bei mir ziemlich hoch im
Kurs, und das liegt nicht daran, weil ich es schon am Anfang der Woche nicht erwarten kann, dass das Wochenende kommt. 😉 Nein, das liegt vielmehr daran, weil es mir mit am schwersten fällt. Da allerdings bin ichglaube ich nicht allein, doch für mich als Blinden, ist das eine ständige Herausforderung. Immer wieder muss ich auf etwas warten. Warten auf den Freund der einen abholen wollte, damit man mal wieder um die Häuser ziehen kann. Das ist ohne Begleitung für mich nicht möglich. Oder die zur Untätigkeit verdammten Momente wie das Warten auf den Aufruf im Wartezimmer des Arztes. Ganz zu schweigen von den Situationen, wo man auf die Hilfe anderer angewiesen ist, diese der Bitte aber erst zu einem späteren Zeitpunkt nachkommen können. Das alles wäre vielleicht gar nicht so besonders, hätte ich nicht ständig das Gefühl ohne die Blindheit könnte ich diese Situationen besser handhaben. Doch wie heißt es so schön: In der Ruhe liegt die Kraft! 😉

Top Tugend Nr. 2: Die Frustrationstoleranz

Du wunderst dich vielleicht warum die Frustrationstoleranz so weit vorne im Ranking steht? Nun, wenn du wüsstest wie viele frustrierende Situationen ein Blinder tagtäglich erleben und ertragen muss, würdest du dich nicht mehr wundern. Allein schon wenn ich darüber nachdenke kommt Frust auf! Da gibt es schon das eine oder andere das mir den Tag versauen kann. Dabei möchte ich noch nicht einmal von den Momenten reden, wo man sich wie früher, spontan ins Auto setzte um einen Freund zu besuchen. Oder einfach mal das Fahrrad schnappen und zum Billardspielen ins Vereinsheim radeln.

Wie schwer es manchmal ist eine Barrierefreie APP für das Smartphone zu finden, von den Tücken die diese Programme so mit sich bringen, will ich gar nicht reden. Für die Lösung eines Problems am Computer braucht ein Blinder oder Sehbehinderter eine halbe Ewigkeit, wo ein sehender lediglich ein paar Minuten aufbringen muss. Ganz banal: Ich bin frustriert, wenn ich jemanden ein Geschenk mache und ich seine Freude darüber nicht mehr im Gesicht sehen kann. Doch was hilft es, je höher die Frustrationstoleranz, desto besser kommt man mit solchen Situationen zurecht. Am Ende wachsen wir mit den Anforderungen! 😉

Top Tugend Nr. 1: Der Mut

Jetzt ist es also soweit, Platz „Numero uno“, die wichtigste Tugend aus meiner Sicht: Der Mut! Wenn auch vieles was wir Blinden tun, leicht selbstverständlich oder unbeschwert wirkt, bedürfen selbst die alltäglichen Handlungen oft viel Mut oder zumindest ein gewisses Maß an Gottvertrauen. 😉

Gerade im Straßenverkehr, bei Straßenüberquerungen, beim Erfragen eines Weges, oder aber beim Erkunden neuer Wege. Es braucht einiges an Mut oder eben Gottvertrauen, schließlich könnte hinter jeder Straßenecke eine Gefahr lauern. 😉

Auch auf vermeintlich vertrautem Terrain ist nicht immer alles so einfach wie es scheint, zum Beispiel im Gebäude meiner Arbeitsstelle. Nur weil gestern der Weg zum Brotzeitraum frei war, heißt das noch lange nicht das er auch heute für mich frei begehbar ist? Oft genug ist es mir schon passiert, dass ich auf Gegenstände im Weg gestoßen bin und nur der Stock schlimmeres verhindern konnte.

Mut braucht es aber auch wenn wir Blinden uns einer Begleitung anvertrauen, nicht immer ist gewährleistet, dass dieser aufmerksam genug ist, uns um alle Hindernisse herumzuführen oder die Abstände sicher eingeschätzt werden. Ich jedenfalls hab mir schon so manche Beule eingehandelt, weil meine Begleitung nicht aufmerksam genug war. 😉

Manchmal fühle ich mich wie ein Pferd mit Scheuklappen. Wenn ich zu genau „hinsehen“ oder darüber nachdenken würde was mir alles passieren könnte würde ich keinen Schritt mehr nach vorwärts tun. Also ich sag immer: „Bungee-Springen“ war früher, Augen zu oder verbinden und die Adrenalinjunkies kommen auf ihre Kosten! Es heißt immer: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, doch ein wenig Vertrauen auf das Glück und einen aufmerksamen Schutzpatron, kann nie schaden. 🙂

Falls du hier eine Tugend vermissen solltest, dann lass es mich doch bitte wissen, vielleicht hast du aber auch noch weitere Themenvorschläge für mich, ich würde mich jedenfalls sehr über einen Kommentar von dir freuen, ansonsten alles Gute, bis zum nächsten Beitrag!

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2 Kommentare

  1. „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ – endlich wird dieser weitverbreitete Irrtum, den man ja vor allem auf Kalenderblättern, in Poesiealben und Kontaktprofilen sehr einsamer Damen findet, von kompetenter Seite klargestellt. Zwischen den Zeilen gelesen lässt sich auch ableiten, wofür z. B. das Schienbein gut ist – nämlich zum nächtlichen Auffinden scharfkantiger Möbelstücke. Ohne Schienbein wäre dies ja praktisch völlig unmöglich!

    • Vielen Dank für diesen Kommentar Hendrik, allerdings find ich den Spruch gar nicht so verkehrt, jedoch zum Schutz vor Hindernissen ist das Herz tatsächlich eher ungeeignet! 🙂

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