Das Leben ein Testprogramm?
Heute habe ich mal wieder einen Gastbeitrag für dich. Dieter Kleffner, einer meiner ebenfalls unerschrockenen Mitstreiter, möchte ich hier einmal zu Wort kommen lassen. Dieter erzählt ein wenig über seinen Lebensweg und wie er sein: „Testprogramm des Schicksals“ bewältigt. Darüberhinaus gibt mir Dieters Beitrag die Möglichkeit dich auf den Arbeitskreis der blinden Autoren hinzuweisen. Schließlich ist es dieser Arbeitskreis, der uns beide verbindet!
Der Arbeitskreis der blinden Autoren ist ein Zusammenschluss blinder und sehbehinderter Autoren. Für uns Betroffene eine ideale Möglichkeit zum Austausch untereinander. Zudem eine Plattform, um unsere Geschichten und Erzählungen zu veröffentlichen. Mit anderen Worten, solltest du dich auch für Literatur und Prosa blinder und sehbehinderter Menschen interessieren, oder gar selbst mitmachen wollen, dann bist du dort genau richtig! So, und nun soll Dieter Kleffner selbst zu Wort kommen. ☺
Im Testprogramm des Schicksals
Liebe Leserinnen und Leser,
ich danke David Röthle für seinen Blog Blindgeflüster. Auf seiner Website bieten sich hervorragende Möglichkeiten zum gedanklichen Austausch rund um die Themen Sehbehinderung und Problembewältigung. Egal ob Menschen behindert sind oder nicht, wir können alle von einander lernen und mit besserem Verständnis für eine harmonische Welt Sorgen.
In diesem Beitrag flüstere ich Ihnen blind etwas über meinen Weg in die Dunkelheit.
Ich wurde 1957 mit einem ‚Grünen Star‘ im Herzen des Ruhrgebiets geboren und noch im Säuglingsalter an beiden Augen operiert. Mit einem Visus von knapp 50% auf dem besseren Auge und Glasbausteinen in der Brille traf ich im Kindergarten auf die ersten dummen Sprüche meiner Altersgenossen.
Die Benutzung eines Opernglases zum Lesen der Schultafel schob mich auf der Spottliste auf Platz 1. Diesen gesellschaftlichen Druck kompensierte ich als Klassenclown. Dafür erntete ich bald die Anerkennung meiner normalsehenden Mitschüler. Andererseits brachte mir mein Verhalten auch ärgerliche Klassenbucheinträge meiner Lehrer ein.
Das Sehen wurde noch schlechter. Infolgedessen machte ich an der Rehabilitationsstätte für Sehbehinderte und Blinde in Mainz eine Ausbildung zum Masseur und med. Bademeister. Dort fühlte ich mich unter ähnlich Betroffenen zum ersten Mal richtig anerkannt und absolvierte mit Freude mein Examen. Ich bekam eine Anstellung in einer Klinik, heiratete und gründete eine Familie.
Testprogramm: Schicksal annehmen
Die Glückseligkeit wäre vollkommen gewesen, doch dann wurde der Grüne Star wieder aktiv. Mit 12 weiteren drucksenkenden Augenoperationen flüchtete ich jahrelang vor dem weißen Stock. Trotz größter Bemühungen der Ärzte mündete mein Sehen in die völlige Erblindung. Alle Gegenstände begannen mit mir zu sprechen. Das waren die Uhr, die Waage, der Taschenrechner, das Vorlesesystem, die Hörbücher und so weiter. Selbst mit dem weißen Stock hatte ich endlich Freundschaft geschlossen und meinen inneren Frieden gefunden.
Meiner Meinung nach hatte ich mein Testprogramm des Lebens bestanden. Das war ein großer Irrtum, denn das Programm war noch gar nicht zu Ende. Knochenmarkkrebs und Lymphdrüsenkrebs katapultierten mich nach 34 Jahren Klinikarbeit aus meinem Beruf und ich landete mitten in einem existenziellen Vakuum. Doch ich gab nicht auf. Die freie Zeit zwischen den Zyklen der Chemotherapie nutzte ich um mich autodidaktisch in die Anwendung eines Screenreader-Programms einzuarbeiten. Mein Ziel: Ich wollte blind den PC bedienen können.
Testprogramm: Neue Chancen annehmen
Durch diesen neuen Schicksalsweg fand ich die Liebe zum Schreiben. Ich erarbeitete ein autobiografisches Manuskript, welches von Angehörigen und Freunden mit Begeisterung gelesen wurde. Ihrem drängen gab ich schließlich nach und wagte den Schritt zur Publikation. Im Herbst 2012 konnte ich dann dank vieler lieber Helferlein meine Autobiografie unter dem Titel „Im Testprogramm des Schicksals“, als Taschenbuch und E-Book auf den Buchmarkt bringen. Es folgten viele positive Berichte in der Lokalpresse und bei den Sehbehindertenverbänden.
Ein Tag für Blinde, Lahme und Verrückte.
Um den Nichtbehinderten einen noch tieferen Einblick in die Welt behinderter Menschen zu geben, veröffentlichte ich im Jahr 2015 den Gesellschaftsroman „Ein Tag für Blinde, Lahme und Verrückte“. Auch dieses Buch stieß in der Presse der Sehbehindertenverbände auf gute Kritik. Während dieser Zeit wurde ich Mitglied im Literaturzirkel der BLAutoren. Das ist eine Gruppe sehbehinderter und blinder Poeten, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die sich aus dem gesamten deutschsprachigen Raum als Arbeitskreis zusammengeschlossen haben.
Inzwischen erweiterte ich meine schriftstellerischen Tätigkeiten. Schreibe nun auch im Genre der Kriminalromane und wechselte mit der Buchproduktion zum Edition-Paashaas-Verlag. Das Schreiben ist zu meinem leidenschaftlichen Lebensinhalt geworden.
Wer nicht kämpf, hat bereits verloren.
Wo uns das Schicksal auch hinführt: In fast jeder Situation haben wir die Option, das Beste oder auch das Schlechteste daraus zu machen. Wer kämpft, der kann verlieren oder gewinnen. Wer nicht kämpft, der hat bereits verloren.
Ich wünsche allen Betroffenen, sich vor allem den Humor zu bewahren. Humor schafft eine gesunde Distanz zur Ernsthaftigkeit unseres Lebens. In diesem Sinne: Man sieht sich!
Dieter Kleffner, blinder Buchautor aus Hattingen.
So, nun hast du also einen Einblick in Dieter Kleffners Lebensweg und in sein „Testprogramm des Schicksals“, wie er es nennt, kennengelernt. Und wie ich finde, ein starkes Stück, was das Leben einem so manchmal aufbürdet. Ich hab übrigens die beiden Bücher, die Dieter in seinem Bericht erwähnt, gelesen, und kann sie dir nur ans Herz legen. Er schreibt wirklich sehr anschaulich, interessant und auch humorvoll über alles was einem Blinden im Alltag begegnen kann. Auf jeden Fall sehr unterhaltsam. Und das sage ich nicht nur, weil ich Dieter gut leiden kann!
Darüberhinaus kann man auch hier wieder einmal sehen: „Ein Ende kann auch immer ein Anfang sein!“ In diesem Sinn, mach es mal gut und lass dich nicht unterkriegen! 😉