Blindheit ist wie…
Blindheit! Hast du dich schon einmal gefragt wie es ist blind zu sein? Wie es sich anfühlt nichts sehen zu können? Ich denke der Großteil der Sehenden macht sich darüber keine Gedanken, warum auch?! Trotzdem werde ich von Sehenden hin und wieder darauf angesprochen und genau deshalb werde ich heute versuchen darzustellen wie es sich für mich als Späterblindeter anfühlt nichts zu sehen.
Wohl gemerkt, das ist meine ganz persönliche Sicht auf dieses Thema. Geburtsblinde empfinden ihre Blindheit möglicherweise ganz anders. Dies kann auch nur ein Versuch sein dir etwas näher zu bringen, dass deiner alltäglichen Wahrnehmung und Vorstellung nicht so ohne weiteres zugänglich ist. Ich weiß genau wie schwer es für einen Sehenden ist sich Blindheit vorzustellen, denn anfangs ging es mir auch so. Es fühlte sich fremd und falsch an, wie etwas das nicht zu einem passt!
Blindheit ist kein Zuckerschlecken, trotzdem werde ich hier nicht auf die Tränendrüse drücken. Also keine Angst. Vielmehr möchte ich dir anhand von alltäglichen Situationen näher bringen wie es mir mit meinem Handicap im täglichen Leben ergeht. Wer weiß, vielleicht wird es dir anschließend etwas leichter fallen dich in Blinde hineinzuversetzen und Blindheit besser zu verstehen! Das wäre doch schön.
Wie lässt sich Blindheit verstehen, begreifen? Ich beginne mit folgendem Vergleich.
Blindheit ist wie: Sieben Wochen Regen, düstere Tage, andauernde ungemütliche Kälte, die ewig graue Düsternis drückt mehr und mehr aufs Gemüt!
Jeder von uns kennt diese oder ähnliche Situationen. Situationen bei denen es zunehmend schwerer fällt sich bei guter Laune zu halten. Ich denke, dass bringt ganz gut zum Ausdruck wie sich diese mich ständig umgebende Dunkelheit manchmal auf mein Gemüt legt und mich in meinem Alltag hemmt. Während du weißt, dass die Düsternis irgendwann ein Ende hat, bleibt bei mir alles wie gehabt!
Blindheit ist wie: Manchmal, zumindest empfand ich das anfangs so, wie ein Kleidungsstück das man tragen muss obwohl es überhaupt nicht passt!
Bestimmt hast du auch schon einmal ein Kleidungsstück, vielleicht einen Pullover, gern mal von der lieben Tante gestrickt, geschenkt bekommen. Ein Pullover der dir nicht richtig passt, du die Farbe schrecklich findest und zudem noch kratzt. Nichts desto Trotz, beim nächsten Besuch der geliebten Tante wird der Pullover mit einem dankbaren Lächeln getragen. Tja, und genauso geht, oder besser ging es mir mit der Erkenntnis blind zu sein. Nur mit dem Unterschied, dass ich das ungeliebte „Kleidungsstück“ nicht mehr ablegen kann. Nichts zu sehen ist dauerhaft unangenehm! Denn dieses „Kleidungsstück“ zwickt und kratzt an allen möglichen Stellen und ich kann es nicht mehr ablegen. 😉
Der Umgang mit Blindheit gleicht kleinen Kindern, wenn sie Fahrradfahren lernen. Schwung holen, an schubsen, treten, umfallen, das Knie aufschürfen, aufstehen, nochmal von neuem probieren, immer und immer wieder, bis man es raus hat!
Kannst du dich noch an deine ersten Radfahrversuche erinnern? Nein. Sicher kennst du ähnliche Situationen, es ist immer das gleiche, wenn man etwas Neues lernen will oder vielleicht auch muss. Mit der Blindheit verhält es sich genauso! Man lernt auch hier immer in kleinen Schritten, keiner kommt von Anfang an ohne weiteres damit zurecht. Man macht kleine Schritte, fällt hin, schlägt sich das Knie oder die Stirn auf, rappelt sich wieder hoch und weiter geht es. Bis man es einigermaßen raus hat! 😉
Blindheit ist wie: Leben in einem Seuchengebiet, wo Schutz nur bedingt möglich ist, beziehungsweise einem besondere Strategien abverlangt werden, um den Gefahren aus dem Weg zu gehen!
Du denkst das ist ein etwas überzogenes Bild? Mein Gefühl ständig irgendwelchen Krankheitserregern ausgesetzt zu sein! Wenn du einmal nachdenkst erkennst du dieses Gefühl vielleicht. Zum Beispiel: Der Gang zur Toilette in öffentlichen Räumen. Was erwartet dich möglicherweise? Vollgetappte Türklinken und verunreinigte Klobrillen. Oder bei einem Besuch in einem Restaurant. Du freust dich auf ein tolles Abendesssen, doch der Tisch wurde noch nicht gesäubert, sondern die Essensreste der Vorgänger kleben noch daran. Tja, im Gegensatz zu dir werde ich vermutlich in den Schmutz fassen und nicht wissen womit ich es gerade zu tun habe! 😉
Blindheit ist wie: Wenn du total gern Auto fährst und dir für immer der Führerschein entzogen wird!
Wenn man etwas sehr liebgewonnen hat, sei es täglich zu Joggen, Rosen zu züchten oder eben Auto zu fahren, wird es schmerzlich vermissen diese Leidenschaften nicht mehr ausüben zu können. Es nicht mehr tun zu können weil einem das Entscheidende, was man dazu braucht genommen wurde. So ähnlich fühlt es sich jedenfalls für mich an. Der einzige Unterschied, dass der Verlust meiner Fahrtauglichkeit das kleinste Übel von allen war! 😉
Blindheit ist wie: Eine Mahlzeit zu sich zu nehmen, und egal was sich auf dem Teller befindet, zum Essen steht dir lediglich ein Löffel zur Verfügung!
Klingt das im ersten Moment etwas verwirrend? Damit möchte ich zum Ausdruck bringen wie schwer oder oft umständlich mir im Grunde einfache alltägliche Dinge fallen. Sei es eben das Essen, zumindest von manchen Gerichten. Aber auch das Ordnen von Dingen im Haushalt oder das Putzen. Die Folge davon, das kannst du dir ja vorstellen ist, dass ich vieles davon (natürlich nicht das Essen), nicht mehr oder nur noch selten mache, beziehungsweise machen kann. Ich gebe zu: Beim Putzen macht mir das eigentlich wenig aus! 😉
Blindheit ist wie ein Hochwasserschaden, alles was einem lieb und teuer war, ist dabei abgesoffen und teilweise unwiederbringlich verloren gegangen!
Wer schon einmal eine Umweltkatastrophe miterlebte, weiß wovon ich spreche. Diejenigen, die davon glücklicherweise verschont blieben, können anhand von gesehenen Bildern und Schlagzeilen nachvollziehen wie es Menschen in solchen Situation gehen muss. Man ist am Ende! Alles was man sich mühselig aufgebaut hat ist zerstört. Seien es Wertgegenstände, liebgewonnene Möbelstücke oder Fotos. Alles weg, manches davon unersetzbar. Ähnlich erging es mir nach meinem Unfall. Liebgewonnenes hatte seinen Sinn verloren: Meine schönen Bildbände und Comics, plötzlich war alles nutzlos. Viel schlimmer war der Verlust meiner Hobbys: Billard spielen mit Freunden oder mit meinem Mountainbike durch den Wald fetzen, alles wurde mit einem „Schicksals“-Schlag plötzlich unmöglich. Mit anderen Worten: Abschiednehmen von liebgewonnenen und vergangenen Leidenschaften war nun angesagt.
Blindheit ist wie: Einen guten Freund verlieren, mit dem man sehr viel Zeit verbrachte!
Kennst du das auch? Da gibt es jemanden mit dem du alles geteilt hast und der dich überall hin begleitet hat. Plötzlich ist er nicht mehr da. Er hat dich verlassen. Der Verlust des Sehsinns kommt diesem Gefühl sehr nahe. All die wunderschönen Augenblicke, Bilder und Momente gehören nun der Vergangenheit an. Manchmal trauere ich meinem Augenlicht nach, wie einem sehr guten Freund!
Mit der Blindheit fühlt man sich manchmal wie ein 60-jähriger, der in die Disco geht. Einerseits wird man bewundert, andererseits stößt man auf Ablehnung!
Tja, damit ist eigentlich schon alles gesagt. Fällt mir ein besserer Vergleich ein? Vielleicht kennst du folgende Situationen: Du bist der ausländische Urlauber unter lauter Einheimischen. Der einzige Mann unter lauter Frauen oder umgekehrt. Wenn man Glück hat wird man akzeptiert, beziehungsweise fällt nicht weiter auf. Wenn doch wird man möglicherweise ausgegrenzt. Wie dem auch sei, irgendwie komisch fühlt sich das immer an. Ich jedenfalls habe hin und wieder das Gefühl ein Außerirdischer zu sein, derweil bin ich doch einer von vielen. Eben einer von uns!
So, für heute ist es genug, ich will dich ja nicht überstrapazieren. Sollte es dich weiterhin interessieren wie es sich anfühlt blind zu sein, dann freu dich auf meinen nächsten Beitrag: Teil 2 von Blindheit ist wie:…
Bis dahin: „Don`t worry, be happy!“ 🙂